Antinomismus vs. Legalismus
Antinomismus (anti ‚gegen‘, nomos ‚Gesetz‘) bezeichnet eine Lehre, die die Bindung an das Gesetz leugnet und die menschliche Glaubensfreiheit und die göttliche Gnade betont. Mit der Auferstehung des Messias und Ausgiessung des Heiligen Geistes erfüllte Jesus das Mosaische Gesetz (Römer 10,4; Galater 3,24-25). Nach dieser Lehre erwartet Gott demnach nicht, dass Gläubige irgend ein Gesetz einhalten müssen. Dazu werden verschiedene Verse bei Paulus zitiert.
So sei es euch nun kund, Brüder, daß durch diesen euch Vergebung der Sünden verkündigt wird; und von allem, wovon ihr im Gesetz Moses' nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt. (Apostelgeschichte 13,38-39)
Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, hat uns mit dem Christus lebendig gemacht, durch Gnade seid ihr errettet - und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu, auf daß er in den kommenden Zeitaltern den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade in Güte gegen uns erwiese in Christo Jesu. Denn durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, auf daß niemand sich rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, auf daß wir in ihnen wandeln sollen. (Epheser 2,4-10)
es war aber der nebeneingeführten falschen Brüder wegen, die nebeneingekommen waren, um unsere Freiheit auszukundschaften, welche wir in Christo Jesu haben, auf daß sie uns in Knechtschaft brächten; (Galater 2,4)
Saget mir, die ihr unter Gesetz sein wollt, höret ihr das Gesetz nicht? Denn es steht geschrieben, daß Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien; aber der von der Magd war nach dem Fleische geboren, der aber von der Freien durch die Verheißung, was einen bildlichen Sinn hat; denn diese sind zwei Bündnisse: eines vom Berge Sinai, das zur Knechtschaft gebiert, welches Hagar ist. Denn Hagar ist der Berg Sinai in Arabien, entspricht aber dem jetzigen Jerusalem, denn sie ist mit ihren Kindern in Knechtschaft; aber das Jerusalem droben ist frei, welches unsere Mutter ist. Denn es steht geschrieben: "Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst; brich in Jubel aus und schreie, die du keine Geburtswehen hast! denn die Kinder der Einsamen sind zahlreicher als derjenigen, die den Mann hat." Ihr aber, Brüder seid, gleichwie Isaak, Kinder der Verheißung. Aber so wie damals der nach dem Fleische Geborene den nach dem Geiste Geborenen verfolgte, also auch jetzt. Aber was sagt die Schrift? "Stoße hinaus die Magd und ihren Sohn, denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohne der Freien." Also, Brüder, sind wir nicht Kinder der Magd, sondern der Freien. (Galater 4,21-31)
Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter Gesetz. (Galater 5,18)
Und euch, als ihr tot waret in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches, hat er mitlebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat; als er ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen, die wider uns war, hat er sie auch aus der Mitte weggenommen, indem er sie an das Kreuz nagelte; (Kolosser 2,13-14)
Indem er sagt: "einen neuen", hat er den ersten alt gemacht; was aber alt wird und veraltet, ist dem Verschwinden nahe. (Hebräer 8,13)
Doch wir finden bei Paulus auch andere Verse. Für ihn ist das Gesetz „heilig, gerecht und gut“ (Römer 7,12). Das Gesetz soll die Sünde aufdecken. Paulus lehrt kein gesetzesfreies Evangelium.
Denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden, denn nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht vor Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. (Römer 2,12-13)
Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! sondern wir bestätigen das Gesetz. (Römer 3,31)
Was sollen wir nun sagen? Sollten wir in der Sünde verharren, auf daß die Gnade überströme? Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben? (Römer 6,1-2)
Denn die Gesinnung des Fleisches ist der Tod, die Gesinnung des Geistes aber Leben und Frieden; weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht. (Römer 8,6-7)
Rede ich dieses etwa nach Menschenweise, oder sagt nicht auch das Gesetz dieses? Denn in dem Gesetz Moses' steht geschrieben: "Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden". Ist Gott etwa für die Ochsen besorgt? (1. Korinther 9,8-9)
Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn, denn das ist recht. "Ehre deinen Vater und deine Mutter", welches das erste Gebot mit Verheißung ist, (Epheser 6,1-2)
Handelt es sich um einen Widerspruch? Der Messias löst den angeblichen Widerspruch auf. Wir sollen seine Gebote halten. Der Vorwurf der Gesetzlosigkeit, wenn man das mosaische Gesetz nicht beachtet, ist nicht haltbar.
Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht. (Matthäus 11,29-30)
Wenn ihr mich liebet, so haltet meine Gebote; (Johannes 14,15)
Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden; und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbar machen. (Johannes 14,21)
Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. (Johannes 15,10)
Denn dies ist die Liebe Gottes, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer. (1. Johannes 5,3)
Auch Mose verweist eindeutig auf den Messias und darauf auf ihn zu hören.
Einen Propheten aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, gleich mir [Mose], wird JHWH, dein Gott, dir erwecken; auf ihn sollt ihr hören; (5. Mose 18,15)
Einen Propheten, gleich dir, will ich [JHWH] ihnen aus der Mitte ihrer Brüder erwecken; und ich [JHWH] will meine Worte in seinen Mund [Jeshua] legen, und er wird zu ihnen reden alles, was ich [JHWH] ihm [Jeshua] gebieten werde. (5. Mose 18,18)
In der Kirchengeschichte finden sich schon früh antinomistische Strömungen. Johannes Agricola († 1566) war deutscher Reformator und enger Vertrauter Martin Luthers. Hintergrund war die gemeinsam von Luther und Melanchtron vertretene Lehre, dass das Gesetz die Menschen zu überführen hatte und sie zur Gnade Gottes führen sollte. 1527 und 1537 hatte Agricola jedoch die Bedeutung des Gesetzes für den christlichen Glauben bestritten und die Meinung vertreten, dass wahre Buße nur aus dem Glauben kommen könne. 1566 wurde in der Eisenacher Synode die These vertreten, gute Werke seien für die Rechtfertigung nicht nötig, die Erfüllung der Gebote aber in einem abstrakten Sinne dennoch heilsnotwendig. Dagegen wandten sich unter anderem die Reformatoren Nikolaus von Amsdorf († 1565) und Andreas Poach († 1585) in Streitschriften. John Eaton († 1641) wird als Vater des englischen Antinomismus bezeichnet. Das liberale Quäkertum (Religiösen Gesellschaft der Freunde) wird mit Antinomismus in Verbindung gebracht. Die spirituellen Erfahrungen/Offenbarungen sind allein ausschlaggebend.
Legalismus ist das strikte einhalten der Gesetze und damit das Gegenteil einer freiheitlichen Orientierung. Ursprünglich eine philosophische Richtung ab 480 v. Chr. bis 221 v. Chr. aus China. Der Legalismus besagt, die menschliche Natur sei schlecht und könne nicht entscheidend verbessert werden, sondern nur durch Androhung von schweren Strafen. Menschen müssen gesteuert werden, jegliche Freiheit führt ins Chaos. China plant Landesweit ein „Soziales Bonitätssystem“ ab dem Jahr 2020 einzuführen. Gesetzestreue, moralisches Wohlverhalten, soziales Engagement, Aktivitäten im öffentlichen Interesse und Umweltschutz“ werden für jeden einzelnen Bürger überprüft. Verstossen die Bürger gegen die Regeln, werden sie bestraft (Verbot für den Erwerb von Wohnungen, keine Schulplätze etc.) Geht ihr Punktekonto nach oben, werden sie belohnt. George Orwell lässt grüssen.
Kritiker werfen somit dem strengen Judentum Leistungsideologie und Werksgerechtigkeit vor. Oft wahrgenommen als eine Unmenge als starres Befolgen von Regeln und Gesetzen (613 Gebote und Verbote). Dies führte in der Kirchengeschichte zum Teil zu extremen Judenhass. Legalisten fordern die strikte Einhaltung von Regeln und Richtlinien. Es müssen nicht zwingend Gebote der Bibel sein, oftmals handelt es sich auch um Traditionen. Ein Beispiel wäre das Verbot bei den Mormonen Kaffee und Tee zu trinken. Kirchliche Loyalität wird gerne mit geistlichem Verständnis verwechselt.
Die Tora ist Wegweisung, dies wird auch deutlich durch die deutsche Übersetzung Buber/Rosenzweigs: "Die fünf Bücher der Weisung“. Es geht nicht um Unterjochung oder Knechtschaft, sondern um Gottesbeziehung im alltäglichen Leben. Doch finden sich immer wieder Gläubige, die fälschlicherweise daraus Legalismus ableiten. Das Wort Gottes als reine Anklage gegen die Menschheit und der damit verbundenen Drohung der ewigen Qual in der Hölle.
Es gibt Pastoren die sich darauf spezialisiert haben ihren Schäfchen, denen sie monatlich den Zehnten abnehmen, jeden Sonntag die Hölle vor Augen zu malen, wenn sie nicht jedes Jota in der Bibel erfüllen sollten. Eine vollständig entkernte Botschaft, die keine väterliche Liebe zulässt. Es gibt genügend Gläubige, die diesen Druck nicht aushalten und mit Selbstzweifeln, Depressionen und auch Selbstmordgedanken zu kämpfen haben.
Er aber sprach: Auch euch Gesetzgelehrten wehe! denn ihr belastet die Menschen mit schwer zu tragenden Lasten, und selbst rühret ihr die Lasten nicht mit einem eurer Finger an. (Lukas 11,46)
Nun denn, was versuchet ihr Gott, ein Joch auf den Hals der Jünger zu legen, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten? (Apostelgeschichte 15,10)
Der Glaube, es müsse jedes Gebot zu jeder Zeit vollständig erfüllt werden ist nicht nur falsch, sondern unmöglich. Die Gesetze ändern sich, mit der Änderung der Priesterschaft (Hebräer 7,12). Der Messias ist Priester nach der Ordnung Melchisedeks (Hebräer 5,6; 6,20) und er hat damit das levitische Priestertum ersetzt. Ebenso werden die Söhne Zadoks im Reich Gottes die Priesterschaft am Tempel übernehmen (Hesekiel 40,46; 43,19). Im Garten Eden ernährten sich Adam und Eva von den Früchten der Bäume (1. Mose 2,16; 3,2). Noah durfte alles Fleisch essen (1. Mose 9,3). Mose bekam differenziertere Speisegebote (3. Mose 11,1-47; 5. Mose 14,1-21). Im zukünftigen Reich Gottes werden wir wieder Früchte Essen (Offenbarung 22,2). Das Mosaische Gesetz wurde aufgerichtet, als Mose bereits 80 Jahre alt war. Davor hielt er u.a. keinen Sabbat, weil er dieses und weitere Gebote erst am Sinai bekommen hatte.
Ergebnis:
Antinomismus und Legalismus. Zwei extreme Positionen, die beide zu grossen Schwierigkeiten im Glaubensleben führen können. Jedes Gesetz Gottes ist grundsätzlich gut und Gottes Geschenk an die Menschen. Wem wurden welche Gebote gegeben und in welcher Zeit wurden sie gegeben? Anachronismus ist eine der grossen Fallen im Bibelstudium.
Wenn ich aus Gnade gerettet bin, kann ich dann nicht machen was ich will? Habe ich das Goldene Ticket? Die Lizenz zum sündigen? Solche Vorstellungen entsprechen keiner wahren Nachfolge des Messias. Hier stellt sich die Frage, ob solche eine wahre Bekehrung erlebt oder nur das Heil geschmeckt haben (Hebräer 6,4-5).
Legalisten glauben und fordern die strikte und buchstäbliche Einhaltung von Regeln und Richtlinien. Diese Glaubenslehre widerspricht der Gnadenlehre.
Wir sollen danach streben mit der Kraft des Geistes Gottes den Messias "anzuziehen" (Römer 13,14; Galater 3,27). Das Wort "Anziehen" bedeutet nach seiner neuen Identität leben. Nichtmehr sollen wir Leben, sondern Christus in uns (Galater 2,20). Je mehr wir im Lichte Gottes wandeln, desto eher fällt das "alte Ich" von uns ab. Nicht wir wirken, sondern Gott wirkt in uns. Die Werke der Finsternis sollen durch die neue Lebensführung keinen Raum mehr bekommen.
Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden. (2. Korinther 5,17)
aber erneuert werdet in dem Geiste eurer Gesinnung und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. Deshalb, da ihr die Lüge abgelegt habt, redet Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder voneinander. Zürnet, und sündiget nicht. Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn, und gebet nicht Raum dem Teufel. (Epheser 4,23-27)
Paulus beschreibt sehr eindrücklich dieses Spannungsfeld in dem er sich befindet.
Denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so stimme ich dem Gesetz bei, daß es recht ist. Nun aber vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde. Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, [finde ich] nicht. Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, dieses tue ich. Wenn ich aber dieses, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde. (Römer 7,14-20)
Der Mensch ist keine tote Hülle, in der Gott einfach das Heil "eintrichtert". Gott achtet uns als lebendige Personen. Gehorchendes Vertrauen des Gläubigen auf Gottes wirken in uns. Es soll den Menschen eben nicht zur Lässigkeit verführen. Gott gab das Wollen, wollt nun mit ganzer Kraft und Gott verlieh auch das Wirken, wirkt nun mit allem Gehorsam.
Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirket eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, nach seinem Wohlgefallen. (Philipper 2,13-14)
Matthäus Kapitel 5 wird fälschlicherweise als "Toraverstärkung" ausgelegt und nicht im Hinblick auf die Reichsethik im kommenden Friedensreich. Es geht in der Bergpredigt nicht um die Möglichkeit oder Notwendigkeit der Erfüllung in diesem Zeitalter. Die Auferstandenen im kommenden Reich Gottes, die Jesus als die Friedfertigen, Barmherzigen, Sanftmütigen und die reinen Herzens bezeichnet, sind eine Vorwegnahme jener Einstellungen, nach der man im Reiche Gottes handeln wird. Denn dann wird Gott das "alte Ich" vollständig entfernen (neuer Geist, neues Herz, neuer Leib). Trotzdem sollen wir uns in diesem Zeitalter so verhalten, als wären wir schon im Reiche Gottes. Dieses Spannungsfeld verleitet zu den extremen Lehren des Antinomismus und Legalismus.
Wenn wir sagen, daß wir keine Sünde haben, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. (1. Johannes 1,8)
"Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf daß ihr nicht sündiget; und wenn jemand gesündigt hat wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten (1. Johannes 2,1)